Der Anhalter Bahnhof war einer der großen Kopfbahnhöfe Berlins und bis zum Ende des zweiten Weltkriegs einer der wichtigsten Fernbahnhöfe der Stadt.
Der erste Anhalter Bahnhof wurde bereits 1841 als Endpunkt der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn eröffnet. Von hier aus bestand eine Verbindung über Jüterbog, Wittenberg und Dessau zur Magdeburg-Leipziger Eisenbahn.
Wie bei vielen Bahnhöfe aus der Frühzeit der Eisenbahn waren die Kapazitätsgrenzen bald erreicht, und ab 1861 begann man einen neuen Kopfbahnhof für die Wichtige Verbindung in den Süden zu planen.
Dank seiner überzeugenden ersten Entwürfe gelang es dem Architekten Franz Schwechten den Auftrag für die Gestaltung des neuen Bahnhofsgebäudes zu erhalten. Er schuf eine eindrucksvolle Bahnhofshalle mit imposantem Empfangsgebäude. Die Halle mit über 10.000 m² Grundfläche nahm sechs Bahnsteiggleis durch drei große Portalbögen auf der Südseite auf. Sie wurde von einem der größten frei tragenden Gewölbedächern seiner Zeit überspannt, welches auf 62 m langen Fachwerk-Eisenbindern ruhte.
Die Fassade aus Gelbklinker wurde durch schmückende Terrakotta-Elemente verziert und gab dem Gebäude ein freundliches und regional typisches äußeres Erscheinungsbild.
Baubeginn war 1874 und am 15. Juni 1880 wurde der neue Bahnhof von Kaiser Wilhelm I. und Reichskanzler Otto von Bismarck eröffnet. Ab 1882 nutzen auch die Züge der Dresdener Bahn den Anhalter Bahnhof.
Von da an wurde er mehr als jeder andere Bahnhof der Stadt Berlins Tor zur Welt. Vom Anhalter aus verkehrten Züge nicht nur nach Leipzig, Dresden, Frankfurt und München, sondern vor allem die internationalen Verbindungen, Beispielsweise nach Wien, Budapest, Karlsbad, Prag, Rom, Mailand, Venedig, Marseille, Nizza oder Athen (mit Anschlüssen nach Afrika und in den Orient) waren es, die Fernweh und Fantasie der Berliner beflügelten. Bereits 1900 wurden am Anhalter Bahnhof 85 Vorortzüge sowie 27 Personenzüge und 26 Schnell- und D-Züge pro Tag abgefertigt.
In der 1920er Jahren begann schließlich eine wahre Ära des luxuriösen Reisens. Die frisch gegründete Reichsbahn fasste die bisherige Vielzahl der deutschen Bahngesellschaften zusammen und die ebenfalls noch junge MITROPA wertete die Reisezüge mit komfortablen Salon-, Speise- und Schlafwagen auf. Die Alpen, die Französische Riviera und die Küsten Italiens lagen nun nicht nur wenige Stunden entfernt, sondern wurden auch für das gehobene Bürgertum erschwinglich.
Doch auch für Reisende nach Berlin prägten der Anhalter Bahnhof das Bild der Stadt und 1928 erhielt das gegenüber liegende Hotel Excelsior sogar einen Fußgängertunnel als direkten Zugang aus der Bahnhofshalle. 1929, so das Bahn-Reise-Magazin Beiderseits vom Schienenweg, bedienten täglich 100 Züge etwa 20.000 Reisende täglich.
Ab 1935 erreichten auch die neuen Schnelltriebwagen der Reichsbahn den Anhalter Bahnhof. Obwohl er nur über sechs Bahnsteiggleise in der Halle und vier Zufahrtsgleise verfügt, vermag der Kopfbahnhof unglaubliches zu leisten. Zur Leipziger Messe werden 60.000 Reisende abgefertigt und zu den Olympischen Spielen 1936 soll dort alle gar zwei Minuten ein Zug abgefahren oder angekommen sein. Im gleichen Jahr wird der unterirdische Bahnhof der Nord-Süd-S-Bahn eröffnet.
Die Zeit des Nationalsozialismus und ihre Folgen sollten von nun an auch die Geschichte des Anhalter Bahnhofs überschatten. Obwohl der Bahnhof als Kulisse Propagandaauftritte und Staatsempfänge dienen musste, sollte er den größenwahnsinnigen Hauptstadtplänen des NS-Regimes weichen.
Bereits kurz nach den Novemberpogromen 1938 war der Anhalter Bahnhof Ausgangspunkt des ersten Kindertransports, durch den 196 jüdische Kinder über Holland nach England gebracht wurden, um sie vor nationalsozialistischen Verfolgungen zu schützen.
Ab Juni 1942 wurden leider vom Anhalter Personenbahnhof aus insgesamt in 116 Zügen über 9.600 Menschen deportiert.. Ein Mahnmal am Portikus erinnert heute zusammen mit den Gedenkstätten an den Bahnhöfen Grunewald und Moabit an die Verbrechen jener Zeit. Die goldene Zeit des Reisens ist zu diesem Zeitpunkt längst vorbei – Lazarettzüge, Fronturlauber und Uniformen prägen das Bild, die Zahl der Zugverbindungen ist auf einen Bruchteil zurückgegangen. Mit dem Beginn der Bombenangriffe auf die Stadt wird der Anhalter Bahnhof ab 1943 zunehmend zum Ausgangspunkt für Berliner, die aus der Stadt fliehen.
In der Nacht vom 3. Februar 1945 wird der Bahnhof schließlich zusammen mit dem nahe gelegenen Potsdamer Bahnhof durch Luftangriffe der Alliierten schwer beschädigt und brennt aus. Die Stahlkonstruktion des imposante Hallendachs wird daraufhin zerschnitten und die Halle von Trümmern befreit um den Bahnhof notdürftig betriebsfähig zu machen. Die spätere Schlacht um Berlin übersteht der Rest des Gebäudes ohne größere weitere Schäden. Es gilt als wiederaufbaufähig.
Nach Kriegsende wird die restliche Dachkonstruktion im März 1948 gesprengt – noch als Maßnahme zur Vorbereitung der Rekonstruktion des Gebäudes gedacht. Doch bereits wenige Monate später unterbricht die Blockade Berlins jeden Bahnverkehr. Nach dem Ende der Blockade verbleiben nur noch wenige Verbindungen in die Sowjetische Besatzungszone und am 18. Mai 1952 wurde der Bahnverkehr schließlich komplett eingestellt.
Trotz starken Widerstandes der Fachwelt und der Architekten- und Baukammern sollte das seit den 1930er Jahren unter Denkmalschutz stehende Bahnhofsgebäude auf Betreiben des damaligen Senats abgerissen werden. Begründet wurde dies mit dem Neubau eines größeren Bahnhofs an anderer Stelle und dem angeblichen Einsturzrisiko der nun frei stehenden Außenwände. Nachdem verschiedene Abrissunternehmen vergeblich versucht hatten, das Bauwerk abzureißen wurde der Großteil des Gebäudes schließlich 1959 trotz Protesten aus der Bevölkerung gesprengt. Nur mit dem Portikus auf der Nordseite des ehemaligen Bahnhofs blieb ein kleines Bruchstück des einstmals eindrucksvollen Fernbahnhofs als Erinnerung bestehen.
Teile des Terrakottaschmucks konnten gerettet werden und sind heute zum Teil im Deutschen Technikmuseum Berlin ausgestellt. Dort ist in den letzten Jahrzehnten außerdem ein betriebsfähiges Modell des Bahnhofs und seiner unmittelbaren Umgebung im Maßstab 1:87 entstanden.
Das Gelände auf dem die Bahnhofshalle stand blieb lange Zeit eine Brachfläche. Weder die Bebauungspläne der 1950er noch die – aus heutiger Sicht albtraumhaft anmutenden – Planungen für eine »Autogerechte« Stadt aus den 1960er Jahren rücken je in greifbare Nähe. Erst 1987 mit der Aufstellung der Skulptur »La Tortuga« des Künstlers Wolf Vostell zur 750-Jahr-Feier der Stadt rückte der Ort langsam wieder in das Bewusstsein der Berliner.
Anfang der 2000er Jahre wurde der Portikus saniert. Dahinter entstand innerhalb des Grundrisses der Bahnhofshalle Ballspielfelder und direkt hinter der Flucht des ehemaligen Südportals wurde das Tempodrom als Veranstaltungsort errichtet.
Das Gleisfeld direkt vor dem Bahnhof ist mit Resten der äußeren Bahnsteige als Gleiswildnis innerhalb des Elise-Tilse-Parks in Teilen erhalten geblieben.
Das weitere Bahnhofsgelände ist ebenfalls noch im Stadtbild lesbar geblieben. In der Flucht der ehemaligen Bahnbrücke verbindet heute ein Fußgängersteg den Park mit dem Deutschen Technikmuseum am südlichen Ufer des Landwehrkanals. Auf seinen Widerlagern sind die Worte »Berlin« und »Anhalt« als Andenken an die Bahnverbindung in den Stein gemeisselt.
Weiter südlich folgt der Lokschuppen und der Güterbahnhof, welche beide Teile des Technikmuseums beherbergen. Im angrenzenden Park am Gleisdreieck finden sich weitere verwilderte Gleisanlagen und Nebengebäude, bis auf Höhe der Monumentestraße schließlich der Anschluss des heutigen Nord-Süd-Fernbahntunnels an die Dresdener und Anhalter Bahn erreicht ist.
Quellen
- Wikipedia: Berlin Anhalter Bahnhof
- Helmut Maier: Berlin Anhalter Bahnhof. Ästhetik & Kommunikation, Berlin 1984. ISBN 3-88245-108-4